Vorgeschichte
Gegen Ende der 1970er Jahre gingen auch die goldenen Jahre in der Verstaatlichten Industrie, deren Flaggschiff die Voest-Alpine-AG war, zu Ende. Damit auch ein bis dahin ungeschriebenes Dogma, wonach der in der Verstaatlichten Industrie bestehende Arbeitsplatz unantastbar sei: Der Blaumann des Industriearbeiters also das Pendant zum Ärmelschoner des Beamten darstelle. Krisen in der Stahlindustrie traten zwar nach dem II. Weltkrieg immer wieder auf, aber jene Ende der 1970er Jahre führte in den Folgejahren in vielen Ländern zu drastischen Umbrüchen, die unterschiedlich verarbeitet wurden und dementsprechende Ergebnisse lieferten. Diese Umbrüche blieben nicht nur auf die Industrien beschränkt, sondern wirkten sich auch auf die Sozialstruktur einer Stadt bzw. Region aus, da eine vorhandene Stahlindustrie stark das sozialökonomische Gefüge prägte. Die durch diese Umbrüche ausgelösten Ergebnisse reichen von dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Rust Belt in den USA, die damals begannen, ihre veraltete Stahlindustrie in Schwellenländern auszulagern, bis zu gelungenen Beispielen wie Linz, wo es gelang, das meist nicht positiv konnotierte Image als Stahlstadt abzulegen, ohne das Industrieunternehmen Voest zu verlieren. Was sich aber in diesen Jahren in all den westlichen Industrieländern einstellte, war ein massiver Rückgang der Beschäftigungszahlen in dieser Industrie. Wie drastisch diese innerhalb der kurzen Zeitspanne von 1979 bis 1986 ausfielen, sei anhand der drei großen Produzentenländer USA, Großbritannien und der damaligen BRD illustriert. Das Statistische Jahrbuch der Eisen- und Stahlindustrie von 1987 weist hier folgende Zahlen aus:
Jahr | USA | GB | BRD |
---|---|---|---|
1979 | 453.200 | 156.400 | 204.800 |
1986 | 178.800 | 55.900 | 147.700 |
Quelle: Statistisches Jahrbuch der Eisen- und Stahlindustrie 1987, entnommen aus: Kerz 1991, S.43. |
Neben den rückläufigen Beschäftigungszahlen haben all diese Produzentenländer gemein, dass sie in dieser Zeit auf unterschiedliche Weise subventioniert wurden. Auch die Nachfrage verschob sich stark in den asiatischen Raum, während die Nachfrage in den westlichen Industrieländern zwischen 1979 bis 1987 einen Rückgang von 16 Prozent hinnehmen musste. (vgl. Kerz 1991, S.8). Dem durch Überproduktion erzeugten Druck auf dem Stahlmarkt konnte sich auch die Voest-Alpine, als im internationalen Maßstab kleiner Produzent, nicht entziehen. Die Voest-Alpine befand sich damals in der Staatsholding ÖIAG (Österreichische Industrieverwaltungs-AG), die die anfallenden Verluste anfangs ausglich. Da sich diese Holding zu 100 Prozent im Staatbesitz befand, wurden letztlich die Verluste nicht von dem juristischen Gebilde namens ÖIAG, sondern von den Bundesbürgern abgedeckt. Noch Jahrzehnte später sind diese Ereignisse im Bewusstsein vieler präsent. So schrieb etwa die Tageszeitung "Oberösterreichische Nachrichten" 2011 in ihrem Artikel über diese Zeit mit einem maliziösen Unterton: »Die Staatsholding ÖIAG glich die Verluste lange aus. 1983 überwies sie 'letztmalig' drei Milliarden Schilling. 1984 waren weitere 2,5 Milliarden nötig«. (Lehner 2011).
Um die Bedeutung der Voest-Alpine in diesen Jahren für das Land besser zu verstehen, sind hier die vom Institut für Datenverarbeitung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der JKU publizierten Zahlen nochmals angeführt. Demnach hing 1983/84 die wirtschaftliche Existenz von 250.000 Menschen direkt oder indirekt von der Voest-Alpine ab. Für Linz alleine werden 60.000 ausgewiesen. In Oberösterreich beschäftigte der Konzern rund 27.000 Mitarbeiter. Österreichweit arbeitete die Voest-Alpine mit 5.000 bis 6.000 Zulieferbetrieben zusammen. (Pils, o. D.).
Diese jährlich wiederkehrenden Horrormeldungen setzten auch der damaligen Sozialistischen Partei (SPÖ), die den Kanzler stellte, schwer zu. Das Mitte der 1970er Jahre vom damaligen Bundeskanzler Kreisky ausgegebene Credo, wonach ihm ein paar Milliarden (Schilling) Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr, war in diesen Krisenjahren bereits legendär, seine Nachfolger konnten diese Maxime aber immer weniger erfüllen. Der Druck von den Medien und der Unmut in der Bevölkerung wurden einfach zu groß. Selbst innerhalb der Voest-Alpine kam es in der Belegschaft zu Spannungen zwischen den Linzern und den Steirern, da die Verluste vor allem bei den Standorten in der Grünen Mark anfielen und viele Linzer sich zu Unrecht am Pranger sahen. Die Schwierigkeiten in der Verstaatlichten und insbesondere bei der Voest-Alpine hatten nicht nur mit exogenen Faktoren wie eben die Überproduktion am Weltmarkt und die rückläufige Nachfrage in den westlichen Industrieländern zu tun, sondern waren auch hausgemacht. Mit den beiden Verstaatlichungsgesetzen nach dem II. Weltkrieg (26. Juli 1946: Banken und Grundstoffindustrie; 26. März 1947: Elektrizitätswirtschaft) gingen diese Assets formal in den Besitz der Staatsbürger über, de facto wurden sie zwischen den beiden damaligen Großparteien SPÖ und ÖVP aufgeteilt und diese Industrien wurden dann von den von ihnen ausgewählten Leuten geführt. Dieses Proporzsystem öffnete die Tore für die politische Einflussnahme. Es brachte u. a. auch so angenehme Stellen für den Inhaber, aber eben teure für das Unternehmen wie den »Frühstücksdirektor« hervor. Darunter verstand man eine unnötige zusätzliche Stelle in der Führung, die aufgrund des Proporzes geschaffen wurde. Dieses Proporzsystem blieb nicht auf die ÖIAG beschränkt, sondern man begegnete ihm auch im öffentlichen Dienst.