Österreichs Wiedergeburt und die österreichischen Franck
Der Krieg hinterließ bei Franck und Kathreiner tiefe Spuren. 104 Bomben waren auf das nahe der kriegswichtigen Eisenindustrie gelegene Linzer Werksgelände gefallen. Am 25. April 1945 gab es den letzten Luftangriff. Die Dächer der Linzer Fabrikanlagen waren wie Siebe durchlöchert. 38.000 Fensterscheiben waren zerbrochen. 11.491 m2 Dachfläche mussten neu eingedeckt werden. Auch in Wien gab es schwere Schäden. Die Mälzerei des Stadlauer Werkes erhielt einen Volltreffer. Bezeichnend war, dass die der Franck-Fabrik zugeteilten Zwangsarbeiter das Linzer Werk vor Plünderungen zu schützen versuchten, während es in einzelnen anderen Linzer Betrieben zu Racheakten der eingesetzten Arbeiter kam.
Franck wurde 1945 wegen der in der NS-Zeit erfolgten Verflechtungen mit den im „Altreich“ gelegenen Stammbetrieben und der 1944 durchgeführten Verschmelzung zur Franck & Kathreiner GmbH vorerst als Deutsches Eigentum eingestuft, das unter die Beschlagnahmemaßnahmen des Potsdamer Abkommens fiel und unter öffentliche Verwaltung gestellt wurde. Ein Glück war nur, dass die Linzer Betriebe nicht in der sowjetischen Besatzungszone lagen. Sonst wären sie wohl sehr rasch zu USIA-Betrieben geworden, während von der US-Militärregierung bereits am 16. Juli 1946 alle in ihrem Bereich gelegenen Betriebe des Deutschen Eigentums der österreichischen Bundesregierung zur treuhändigen Verwaltung übergeben wurden.
Allerdings wehrten sich die österreichischen Franck-Eigentümer vehement und letztlich auch erfolgreich, als Deutsches Eigentum eingestuft zu werden. Um nachteilige Auflagen und vor allem die Beschlagnahme des in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen Stadlauer Werkes zu vermeiden, tat Franck alles, um als österreichisches Unternehmen anerkannt zu werden. Man stützte sich dabei auf die Argumentation, dass die 1939 erfolgte Zusammenführung der österreichischen und deutschen Franck und Kathreiner-Firmen vom Regime erzwungen gewesen sei und diese bereits 1944, also mehr als ein Jahr vor dem Stichtag des Potsdamer Abkommens, wieder rückgängig gemacht worden sei.[50] [Das Folgende dargestellt nach: Franck+Kathreiner Report: Microfilm Publication. ]
Als Glücksfall erwies sich dabei die Sitzverlegung nach Wien im Jahr 1943 und die im Anschluss daran erfolgte Aufspaltung der Gesellschaft nach einzelnen Wirtschaftsgebieten: in eine deutsche Gesellschaft, die von Ludwigsburg aus geleitet werden sollte, und eine eigene Gesellschaft oder Untergesellschaft für das reichsostdeutsche Gebiet, das die Unternehmen im früher österreichischen, tschechoslowakischen und polnischen Raum leiten sollte, um den Bedürfnissen und dem Geschmack der dortigen Bevölkerung bzw. auch der Lage am Rohstoff- und Arbeitsmarkt besser entsprechen zu können.
Für diese organisatorische Umgliederung gab es im Nachhinein zwei Interpretationsmöglichkeiten, ob sie als Zentralisierung in Ludwigsburg oder als Aufspaltung in eine deutsche und eine österreichische Gruppe zu interpretieren sei. Die Österreicher argumentierten, dass mit der Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Wien die Rückführung nach Österreich eingesetzt habe und mit der Änderung der Grundbuchseintragung (wieder die Linzer und Wiener Unternehmen statt des Berliner Gesellschaft) weiter gegangen sei. Das Gleiche sei mit den ehemaligen österreichischen Schutzmarken geschehen. Damit seien die Linzer und Wiener Betriebe bereits 1944 wieder in den Besitz ihrer Grundstücke und ihrer Schutzmarken gekommen.
Das sei juristisch gesprochen nichts anderes gewesen, erklärte der öffentliche Verwalter Heinrich Greindl gegenüber dem Vermögensministerium und den amerikanischen Behörden, als dass die Gesellschafter schon im Februar 1945 grundsätzlich beschlossen haben, das am 6. Dezember 1939 und am 28. Dezember 1943 eingebrachte Apport „Linzer Fabriksbetrieb“ wieder an die ursprünglichen Eigentümer, die ja noch immer als Gesellschafter des Gesamtunternehmens an diesem beteiligt waren, zurückzustellen. Die Fabrik sei zwar als reale Vermögenseinlage zeitweise Teil einer gemischten reichsdeutschen Unternehmung gewesen, sei aber durch den Beschluss vom 6. Februar 1945 noch vor der Potsdamer Konferenz in ihren ursprünglichen Zustand zurückgeführt worden. Dass die dafür vorgeschriebenen Formalitäten nicht mehr zur Gänze erledigt werden konnten, sei nicht im Verschulden der Geschäftsführung der Firma gelegen, sondern an den in der Zeit März/April 1945 obwaltenden Kriegsereignissen.
Der Gesellschafterbeschluss vom 6. Februar 1945, mit dem die Verlegung des Gesellschaftssitzes von Wien nach Ludwigsburg erfolgte, wurde gegenüber der amerikanischen Militärregierung und den österreichischen Behörden im Nachhinein als endgültige Zurückziehung der deutschen Kapitalanteile aus der in Österreich verbliebenen Firma und als Entscheidung für die Errichtung einer selbständigen österreichischen Gesellschaft in Linz oder Wien dargestellt, an der wie vor 1938 nur die österreichischen Gesellschafter und die INGA beteiligt sein sollten. Dass die Neugründung einer österreichischen Gesellschaft vorerst unterblieben war und im Wiener Handelsregister eine entsprechende Richtigstellung bis zum 20. Juli 1946 nicht erfolgt war, während die Sitzverlegung nach Ludwigsburg rechtswirksam ins Handelsregister eingetragen war, wurde mit kriegsbedingten Kommunikationsschwierigkeiten erklärt. Zudem sei die österreichische Gesellschaft nicht durch eine Neugründung, sondern durch eine Abwanderung der reichsdeutschen rückgebildet worden.
In der ordentlichen Generalversammlung der Franck und Kathreiner Ges.m.b.H in Linz vom 20. Juli 1946 wurden die noch notwendigen Formalitäten zur Durchführung des Beschlusses vom 6. Februar 1945 nachgeholt, sowohl hinsichtlich des Linzer Betriebs wie auch der beiden Betriebe Wien III, Esteplatz und Wien-Stadlau. Es ist daher selbstverständlich, schrieb Franck und Kathreiner am 29. Oktober 1946 an das Ministerium, dass entsprechend dem einmütigen Willen aller Gesellschafter die am Gesamtunternehmen beteiligten Reichsdeutschen, deren Abwanderung mit allen Anteilen nach Ludwigsburg gegeben war, schon mit Wirkung vom 6.2.1945 ausgeschieden waren. Es habe daher zum Zeitpunkt der Wiedererrichtung der Republik Österreich (27.4.1945) überhaupt kein deutscher Anteil am Unternehmen bestanden.
Recht viel Glauben schenkten die Amerikaner dieser Darstellung zwar nicht. Die amerikanische Besatzungsmacht vermutete, dass diese Vorgehensweise eine Nachkriegskonstruktion darstellte, um die Existenz einer österreichischen Gesellschaft schon vor dem Stichtag der Potsdamer Beschlüsse glaubhaft zu machen. Der amerikanische Sachverständige Eric W. Ashley untersuchte den Fall im Auftrag der US-Militärverwaltung im Jahr 1948. Seinen Erkenntnissen nach konnte man die im Februar 1945 durchgeführten organisatorischen Änderungen auch anders interpretieren: als Rückverlegung der Firmenzentrale nach Ludwigsburg und Herabstufung der österreichischen Standorte zu Filialen. Ihm zufolge wären die österreichischen Franck & Kathreiner-Betriebe eindeutig als deutsches Eigentum zu klassifizieren gewesen. Da die US-Behörden aber ohnehin auf die tatsächliche Beschlagnahme des deutschen Eigentums verzichteten und auch nicht wollten, dass den Sowjets zu viel in die Hände fiel, verlor die Diskussion bald ihre tatsächliche Relevanz. Dem Ministerium für Vermögenssicherung wurde von Franck eine eidesstattliche Erklärung vorgelegt, dass bereits am 25. September 1944 bei einem Treffen in Konstanz eine Übereinkunft getroffen worden sei, die vor 1938 bestehende Vermögensverteilung wieder herzustellen. Das österreichische Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung stellte daraufhin mit Schreiben vom 6. März 1947 fest, dass das Ausscheiden der reichsdeutschen Beteiligungen aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom 6.2. 1945 in legaler Weise erfolgt sei und die Rückbildung der österreichischen Franck und Kathreiner Gesellschaft als österreichisches Unternehmen mit diesem Beschluss bereits vollzogen war. Der öffentliche Verwalter Heinrich Greindl ersuchte, den Rechtsstandpunkt, dass das Unternehmen weder vor dem Jahr 1938 noch seit dem 6. Februar 1945 eine reichsdeutsche Beteiligung war, besonders zu betonen.
Die Aufteilung Österreichs in Besatzungszonen brachte es mit sich, dass der Firmensitz 1946 auch formell von Wien nach Linz in die amerikanische Besatzungszone verlegt wurde, wo nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs die österreichische Geschäftsführung ihren Sitz hatte. Um alle Probleme auch formalrechtlich zu bereinigen, war bereits am 1. April 1946 eine Gesellschafterversammlung der Linzer Heinrich Franck Söhne Verkaufsgesellschaft durchgeführt worden. Anwesend waren Gustav Heinrich Franck, der öffentliche Verwalter des Linzer Werkes Heinrich Greindl und der Fabriksdirektor Hermann Wilhelm Breyer, ersterer als Gesellschafter, die beiden anderen als Geschäftsführer und Geschäftsführer-Stellvertreter der Gesellschafterin Franck und Kathreiner Ges.m.b.H. Wien. Gustav Heinrich Franck übernahm einverständlich den Vorsitz. Das Problem war, dass im Handelsregister immer noch Gustav Heinrich Franck, Berlin und Heinrich Franck Söhne GmbH, Berlin als Gesellschafter aufschienen. Hiezu bemerkte Gustav Heinrich Franck, dass er seit Ende Oktober 1945 den Wohnsitz nach Linz verlegt habe und die zweitgenannte Gesellschafterin Ende 1943 in der Franck und Kathreiner GmbH, Wien aufgegangen sei. Es wurde der Beschluss über die Umwandlung der in Linz bestehenden Zweigniederlassung in eine Hauptniederlassung gefasst, die Satzung geändert und die Abberufung und Neubestellung der Geschäftsführer durchgeführt. Die bestehende Verkaufs-Gesellschaft wurde in eine GmbH nach österreichischem Recht umgewandelt und mit einem Stammkapital von 20.000.- S ausgestattet. 12.000 Schilling lautend auf Franck und Kathreiner und 8.000 auf Gustav Heinrich Franck. Der bisherige Geschäftsführer Hans Kleemann wurde abberufen. Zu neuen Geschäftsführern wurden Rudolf Jünger und Heinrich Greindl bestellt.
Das Werk in Wien wurde zur Filiale von Linz. Es unterstand aber, da in der sowjetischen Besatzungszone liegend, nicht der Vermögenskontrolle der amerikanischen Militärregierung. Auf der ordentlichen Generalversammlung von Franck & Kathreiner am 20. Juli 1946 in Linz wurde auch beschlossen, die Niederlassungen in Berlin, Breslau, Eger, Halle, Karlsruhe, Komotau, München, Regensburg, Frankfurt an der Oder, Danzig, Magdeburg und Bad Wörishofen formell aufzulösen und aus dem Handelsregister zu löschen. Das ergab sich aus der faktischen Entwicklung. Der deutsche Anteil war durch den Beschluss vom 6. Februar 1945 rechtswirksam ausgeschieden. In gleicher Weise waren die auf dem Gebiet der CSSR und Polens gelegenen Zweigniederlassungen durch Beschlagnahme im Sinne der Potsdamer und Londoner Beschlüsse aus dem Vermögen der österreichischen Gesellschaft verfallen. Irgendwelche Ersatzansprüche bestanden weder gegen Deutschland noch gegenüber dem tschechoslowakischen oder polnischen Staat, da keine der beiden österreichischen Aktiengesellschaften vor 1938 in einem dieser Staaten Niederlassungen besaß. Das Stammkapital der nunmehr österreichischen Gesellschaft wurde von 35 Mio. RM bzw. Schilling auf 7,5 Mio. Schilling reduziert und auf die österreichischen und Schweizer Gesellschafter aufgeteilt. Neu in den Aufsichtsrat wurden Lothar Kuhlmann, Linz, Dr. Fritz Bon, Zürich, Johann Heinrich Franck, Zuos, Johannes Martin Kjäer, Wien, Rudolf Jünger, Linz, Dr. Julius Grüll, Linz, Dr. Peter Bally, Zürich, und Fritz Becker, Lambach, gewählt. Der INGA-Anteil reduzierte sich auf 28,9 Prozent. Die Kathreiner-Nachfolger hielten 8,8 Prozent und die Franck-Familienmitglieder 62,3 Prozent, 38,9 Prozent die Frauen, 23,4 Prozent Herren Hermann Wilhelm Breyer, Gustav Heinrich Franck, Walter Franck und Lothar Kuhlmann.
Bis 1945 waren die österreichischen Gesellschafter am Gesamtunternehmen mit 13.957.000 RM beteiligt gewesen und die INGA mit 5.684.000, die deutschen Gesellschafter mit 15.359.000 RM. Das Kapital der neuen österreichischen Firma betrug nur nur 7,5 Mio. Schilling bzw. die gleiche Summe in RM. Daher wäre eine Restbeteiligung der österreichischen und Schweizer Gesellschafter an der Ludwigsburger Gesellschaft in Höhe von 12.141.000 RM verblieben. Die beiden ehemals österreichischen Gesellschafter Otto Franck und Wilhelm Franck verzichteten auf eigenen Wunsch auf eine Beteiligung an dem österreichischen Unternehmen und waren daher am deutschen Unternehmen beteiligt. Dadurch reduzierte sich der Kapitalüberhang der österreichischen Gesellschafter auf 5.539.000 RM und jener der INGA auf 3.518.000 RM, insgesamt also 9.057.000 RM. Diese Summe bzw. Anteilsrechte in dieser Höhe wollten die österreichischen Franck-Mitglieder von den deutschen zurückfordern. Daher wurde bei der Rückstellungskommission beim LG Linz am 28.1.1949 ein Rückstellungsantrag nach dem 3. Rückstellungsgesetz eingebracht, dass die 1938/39 erfolgte Abtretung bzw. Auflösung der österreichischen Franck und Kathreiner Unternehmen nichtig sei. Als Antragsteller traten die österreichischen Franck und Kathreiner Gesellschafter auf, nämlich Fritz und Martha Becker, Lambach, Hermann Wilhelm Breyer, Linz, Dora Franck, Linz, Elisabeth Franck, Linz, Gustav Heinrich Franck, Linz, Walther Franck, Linz, Lothar und Paula Kuhlmann, Linz, Lotte Lore Mauthner, Gmunden und die INGA, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Richard Haslinger. Als Antragsgegner erscheint Franck und Kathreiner, Ludwigsburg.
Abtretung der INGA-Aktien gegen Geschäftsanteile der beiden Berliner Firmen (Aktion Spahn) | RM | 10.353.000 |
Barzahlung der Spitzenausgleiche anlässlich der Kapitalerhöhung der beiden Berliner Firmen | RM | 996.000 |
Abtretung der Aktien von HFS Linz AG und Kathreiner AG Wien, jeweils 1939 | RM | 2.654.000 |
Abtretung von Geschäftsanteilen an andere Gesellschafter 1940 | RM | 453.000 |
Erwerbung von Geschäftsanteilen 1940 | RM | 207.000 |
Summe | RM | 13.957.000 |
Der 1948 eingebrachte Rückstellungsantrag wurde von der deutschen Franck-Seite seinem gesamten Inhalt nach bestritten, insbesondere dass Druck ausgeübt oder ein unredlicher Erwerb stattgefunden habe. Insgesamt wurde das ganze Verfahren nicht sehr ernst genommen. Die beiderseitigen Rechtsanwälte kontaktierten sich immer wieder. Es war klar, dass es sich eigentlich um Scheingefechte handelte. Das Verfahren verlief im Sande. Ein Ausgang ist nicht bekannt.
Gegen die Enteignungswelle in den kommunistisch gewordenen Ländern Ostmitteleuropas kämpfte die INGA mit allen Mitteln. Mit Jugoslawien, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen wurden direkt und über die Schweizerische Kommission für Nationalisierungsentschädigungen Entschädigungszahlungen durchgesetzt.
Jedenfalls kam es zu länger anhaltenden Verstimmungen.
Gustav Heinrich Franck, bis 1962 Delegierter bei der INGA, sprach von „internen Konflikten und Kämpfen, die sich wie ein Raureif auf die Gesellschaft“ legten. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats in Ludwigsburg meinte in seiner Festrede zum 75-Jahr-Jubiläum des Linzer Unternehmens im Jahr 1954: „Sie, meine Herren, sind hier in diesem Lande oft sehr selbständige und sehr eigenwillige Wege gegangen, doch waren sie, dank einer guten und geschickten Führung, immer von Erfolg gekrönt.“ Und er betonte die „nicht unwesentliche Beteiligung Ihrer Gesellschafter an dem Ludwigsburger Unternehmen Franck und Kathreiner“.
[50] Das Folgende dargestellt nach: Franck+Kathreiner Report: Microfilm Publication.