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Franck in Linz

Geschichte eines Familienunternehmens

Autor: Roman Sandgruber

Die Vereinigung mit Kathreiner

Um 1900 kam neue Bewegung in den Ersatzkaffeemarkt und neue Konkurrenz tauchte auf. Die große Zeit der Zichorie schien vorbei zu sein. Die neue Zeit gehörte dem Malz- oder Getreidekaffee, einem Resultat einer ersten Gesundheitswelle. Hatte der Zichorienkaffee vor allem zur Verbilligung des teuren Bohnenkaffees gedient, so ging es bei der Einführung von Malz-, Roggen- oder Feigenkaffee vermehrt um Gesundheitsfragen.

Kathreiner-Werbung, 1901
Kathreiner-Werbung, 1901
Propagiert wurden diese Produkte durch die Lebensreformbewegung, die als kritische Antwort auf die negativen Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung entstanden war und auch eine Reform der Ernährung anstrebte. Die Lebensreform richtete sich aber nicht nur gegen die aus ihrer Sicht wertlosen Surrogate, sondern kritisierte auch das Koffein des echten Kaffees als Gift. Bohnenkaffee wurde als „großer Ernüchterer“ propagiert, Zichorienkaffee als billiger Ersatz und Malzkaffee als gesunde Alternative. Dass der Malzkaffee nicht nur billiger, sondern auch gesünder sei als der Bohnenkaffee, wurde vor allem von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, ins Treffen geführt. Auch der Schweizer „Gesundheitspfarrer“ Johann Künzle (1857-1954), ein noch heute bekannter Pionier der Kräuterheilkunde, führte als Antwort auf die Frage „Wer tötet mehr Leute als Krieg und Pest“ den „Bohnenkaffee“ an. In seinem 1911 erstmals erschienenen volkstümlichen Lehrbüchlein „Chrut und Uchrut“, das innerhalb weniger Jahre eine Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren erreichte, empfahl er den Konsum von Eichelkaffee. Der Milchkaffee könne auch den schädlichen Alkohol zurückdrängen. Das half dazu, dass die Kaffee-Ersatzmittel-Industrie in Europa und Amerika – dort war es der Ernährungsreformer John Harvey Kellogg - um 1900 einen regelrechten Boom erlebte.

Dem bayerischen Malzkaffee-Erzeuger Kathreiner gelang es, dieses neue Feld mit dem Gesundheits- und Kräuter-Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897), dem bekannten Kaltwassertherapeuten aus Wörishofen, als Markengeber besonders intensiv zu besetzen. Kneipp warnte vor dem Konsum von Bohnenkaffee, den er als „Giftpflanze“ und „Menschenmörder“ verfluchte. Er warb für Kaffee aus Gerstenmalz, „so sauber wie Milch und so gesund und kräftig wie Brot“. Nicht zufällig geschah das im Bierland Bayern, wo man seit langem mit Malz viel Erfahrung gesammelt hatte.

Kathreiners Kneipp-Malz-Kaffee-Werbetafeln
Kathreiners Kneipp-Malz-Kaffee-Werbetafeln, Kräuter-Pfarrer Sebastian Kneipp diente als Markengeber (Mitte und rechts vor 1914).
Kathreiner wurde zum Synonym für Gesundheitskaffee: Das Unternehmen war aus einer 1829 von Franz Kathreiner gegründeten Spezereihandlung hervorgegangen. 1870 war sie von Emil Wilhelm erworben und zu einer der größten Kolonialwarenhandlungen Deutschlands ausgebaut worden. Das Mutterunternehmen „FKN“, Franz Kathreiners Nachfolger war Anfang des 20. Jahrhunderts der größte bayerische Lebensmittelhändler und gehörte zu den größten Tee- und Kaffeehändlern im Kaiserreich.
Werbetafel Kathreiner´s Kneipp-Malz-Kaffee, 1914
Werbetafel für Kathreiner´s Kneipp-Malz-Kaffee, 1914
1889 stieg Kathreiner in die Malzkaffeefabrikation ein. 1892 war die richtige Mischung und Zubereitung gefunden. Es war der im Vanillehandel reich gewordene Hermann Aust (1853-1943), der der neu gegründeten Firma „Kathreiners Kneipp Malzkaffee“, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft des altbekannten Münchner Handelshauses zu ihrem großen Erfolg verhalf. Aust, später Mitinhaber und persönlich haftender Gesellschafter, ließ das durch den Chemiker Heinrich Trillich (einem Schüler Max von Pettenkofers) gefundene Verfahren zur Herstellung des Malzkaffees patentieren und stellte die Verbindung mit Pfarrer Kneipp als Werbeträger her. Am 2. Juni 1896 tätigte Kneipp jene Unterschrift, bei der er „mit seinem Kopf“ für die Güte des Kathreiner-Malzkaffees bürgte. Er riet den Patienten, die zur Wasserkur nach Wörishofen kamen: „Trinkt Malzkaffee! Den Kaffee aus geröstetem Braumalz.“

1897 traten Emil Wilhelm und Adolf Brougier von der Leitung des Unternehmens zurück, das in eine GmbH mit 2,3 Mio. Mark Kapital umgewandelt wurde. Das Kapital wurde bis 1910 auf 4,2 Mio. Mark erhöht. Aust baute ein weit verzweigtes Netz von Produktionsstandorten mit einem weltweiten Vertriebsnetz auf. Die Firma blieb im Besitz der Gründerfamilien Wilhelm, Brougier–Seisser und Aust, die untereinander verschwägert waren.

In Österreich war der Aufstieg von Kathreiner eng mit der 1840 gegründeten Wiener Kolonialwarenfirma Gebrüder Mayer und deren Geschäftsführer Rudolf Scherer (1857–1930) verbunden. Dieser war Prokurist bei Mayer. Seinem kaufmännischen Geschick war der Erfolg der Firma Mayer und die Einführung der Marke Kathreiner in Österreich zu danken. Unter ihm als Geschäftsführer entwickelte sich Mayer nicht nur zu einer der bedeutendsten Kolonialwarenhandlungen der Monarchie, sondern übernahm auch den Generalvertrieb für Kathreiner in der Habsburgermonarchie. Gemeinsam mit der 1884 von den Familien Hauser und Sobotka gegründeten Ersten Wiener Exportmalzfabrik in Wien-Stadlau wurde 1892 auch in Österreich die Produktion von Malzkaffee nach dem Kathreiner-Verfahren aufgenommen.

Die Kathreiner Malzkaffeee-Fabrik in Wien Stadlau
Die Kathreiner Malzkaffeee-Fabrik in Wien Stadlau
Die Mälzerei der Stadlauer Fabrik konnte etwa 10.000 t Getreide pro Jahr verarbeiten und war damit zur damaligen Zeit eine der größten Malzfabriken Europas, wenn nicht die größte. Das Wiener Kathreiner-Geschäft war somit dreigeteilt: die Produktion lag bei Hauser & Sobotka, der Vertrieb bei den Gebrüdern Mayer, das Patent- und Markenrecht bei Franz Kathreiners Nachfolger in München. Der Erfolg war so durchschlagend, dass 1912 benachbart zur Stadlauer Malzfabrik eine eigene Kathreiner-Kaffee-Fabrik errichtet und neben den Räumlichkeiten von Mayer in der Innenstadt, Annagasse 8 auch ein eigener "Kathreinerhof" am Wiener Esteplatz eröffnet wurde.[17] [Sandgruber, Traumzeit für Millionäre, 360, 400, 431, 442 f. ]

Kathreiner war nicht zuletzt mit aggressiver Werbung sowohl in Deutschland wie auch in Österreich zu einem mächtigen Konkurrenten von Franck geworden. Stand Franck für Zichorienkaffee, so Kathreiner für Malzkaffee. Es war der Kampf „katholisches“ Kathreiner-Malz gegen „protestantische“ Franck-Zichorie, blauer, bayerischer Malzkaffee gegen roten, württembergischen Zichorienkaffee. Franck reagierte zuerst nur verhalten. Als Kathreiner aber 1910 am Karlsruher Rheinhafen ein neues Malzkaffee-Werk eröffnete, zog Franck am Neusser Rheinhafen mit einer eigenen Roggen-Malz-Produktion in der neugegründeten Tochtergesellschaft „Kornfranck GmbH“ nach.

Malzmeister Waldmann, Werbeserie aus den 1930ern.
Malzmeister Waldmann, Werbeserie aus den 1930ern.
Bald begannen die Bestrebungen, diese Konkurrenzsituation durch Verhandlungen und Verbindungen zu entschärfen. Es war ja die Zeit, als Kartelle jeglicher Art boomten, bei Eisen ebenso wie bei Zucker oder Bier. Franck näherte sich 1912 durch eine gemeinsame Holding-Gesellschaft an Kathreiner an. Im Aktionärsverzeichnis der in diesem Jahr in Wien neu gebildeten Kathreiners Malzkaffeefabriken AG scheint neben Hauser & Sobotka und den Gebrüdern Mayer bereits auch die Firma Heinrich Franck Söhne auf. Ins Firmenbuch wurde die neue Aktiengesellschaft am 17. Dez. 1912 mit 4 Mio. Kronen Kapital eingetragen. Firmenzweck: Übernahme der Wiener Zweigniederlassung von Kathreiners Malzkaffee Fabriken Ges.mb.H. München, Fortbetrieb und Geschäft für Österreich-Ungarn und Bosnien, insbesondere die Herstellung von Malzkaffee auf Basis des von Kathreiner entwickelten Verfahrens. Als Gesellschafter fungierten neben Hermann Aust und den Wiener Kathreiner-Pionieren Franz X. Mayer, Rudolf Scherer sowie Hugo und Alfred Hauser auch Carl und Walter Franck.

Auf Betreiben der Franck-Gesellschafter Carl, Robert, Richard und Walter Franck wurde am 27. September 1913 in Verbindung mit der Konzernleitung von Kathreiner (Emil Wilhelm, Adolph Brougier, Hermann Aust, Richard Ötting) eine gemeinsame Holding-Gesellschaft unter der Firmenbezeichnung „Internationale Nahrungs- und Genussmittel-Aktien-Gesellschaft“ (INGA) zum Zwecke der „Zusammenhaltung der in unseren Geschäften investierten Kapitalien“ mit Sitz in Schaffhausen/Schweiz errichtet. Sie wurde mit einem Grundkapital von 5 Millionen Schweizer Franken ausgestattet. 32 Betriebe und Beteiligungen von Franck und Kathreiner in zwölf Ländern wurden in die INGA eingebracht. Die zehn auf der Generalversammlung anwesenden Aktionäre, alle zu den Eigentümerfamilien gehörend, vertraten 4.998 Aktien im Nennbetrag von je 1.000 Schweizer Franken. Carl Franck war der erste Präsident dieser anfangs deutsch-österreichischen Holding. Der Verwaltungsrat bestand aus den vier Vertretern der Franck-Gruppe Carl, Robert, Richard und Walter Franck und den Vertretern von Kathreiner Aust, Brougier und Wilhelm.

Malzmeister Waldmann, Werbeserie aus den 1930ern.
Malzmeister Waldmann, Werbeserie aus den 1930ern.
Auf einer außerordentlichen Generalversammlung am 20. März 1915 im Stuttgarter Hotel Marquardt wurde das Kapital auf 60 Millionen Schweizer Franken erhöht. Die Aktien der Franck-Grupp wurden in der Genossenschaft Limes, Schaffhausen geparkt, die der Kathreiner-Gruppe in der Hospes AG, Vaduz.[18] [Die „INGA“ Internationale Nahrungs- und Genußmittel-Aktiengesellschaft im Wandel der Zeit 1913-1963, Ludwigsburg 1964. ]

Das führte zum Friedensschluss zwischen den beiden bis dahin heftigen Konkurrenten Heinrich Franck Söhne und Franz Kathreiners Nachfolger. Mit Vorbedacht war als Firmensitz ein Land gewählt worden, „welches überall als international angesehen wird und am wenigsten den Anfeindungen anderer Nationalitäten ausgesetzt ist.“ In einem Rundschreiben an die leitenden Mitarbeiter von Franck am 27. September 1913 wurde die Schweizer Holding recht vorausschauend auch mit der drohenden Kriegsgefahr begründet: „Die politisch kritischen Zeiten haben uns indessen deutlich vor Augen geführt, dass die Verantwortlichkeit über die Kräfte eines sorgfältigen Kaufmanns hinausgewachsen war und dass es das Interesse des Gesamtgeschäfts erheischt, unsere Kapitalkraft nicht einseitig z.B. wegen eines österreichisch-russischen Krieges zu gefährden.“[19] [Die INGA. Internationale Nahrungs- und Genussmittel-Aktiengesellschaft im Wandel der Zeit. 1913-1963, o.J. o.S. ]

Malzmeister Waldmann, Werbeserie aus den 1930ern.
Malzmeister Waldmann, Werbeserie aus den 1930ern.
Der am 22. März 1915 in Stuttgart geschlossene Vertrag führte auch zu einer Verlegung des Gesellschaftssitzes der österreichischen Zweigniederlassungen von Ludwigsburg nach Linz und zum Eintritt der am 4. Juli 1914 mit einem Stammkapital von 630.000 Kronen gegründeten „Socius GmbH für österreichische und ungarische Nahrungsmittel-Industrie“ in Wien als offenem Gesellschafter. Zum Geschäftsführer der Socius war anfangs Richard Franck bestellt worden. Aber zusammen mit der Holding-Gründung löste ihn Carl Franck 1915 als Geschäftsführer ab. Mit diesem Schritt war Heinrich Franck Söhne in Linz keine Zweigniederlassung mehr, sondern eine österreichische Firma mit Hauptsitz in Linz. Der Geschäftsbetrieb in Ludwigsburg wurde vom österreichischen abgetrennt. Gleichzeitig wurde die Hauptniederlassung in Ludwigsburg aus dem österreichischen Handelsregister gelöscht. Die „Socius“ trat mit 200.000 Kronen in das Unternehmen ein, sodass das Gesamtkapital der nunmehrigen Linzer Hauptniederlassung von 3,8 Millionen auf 4 Mio. Kronen erhöht wurde. Robert und Richard Franck schieden in weiterer Folge als Gesellschafter aus.[20] [OÖ Landesarchiv, Handelsregister, Schuber 1126. ]

[17] Sandgruber, Traumzeit für Millionäre, 360, 400, 431, 442 f.
[18]Die „INGA“ Internationale Nahrungs- und Genußmittel-Aktiengesellschaft im Wandel der Zeit 1913-1963, Ludwigsburg 1964.
[19] Die INGA. Internationale Nahrungs- und Genussmittel-Aktiengesellschaft im Wandel der Zeit. 1913-1963, o.J. o.S.
[20] OÖ Landesarchiv, Handelsregister, Schuber 1126.