Titze – der Linzer Konkurrent wird übernommen
Linz war die Kaffeehauptstadt der Habsburgermonarchie. Hier stand nicht nur die Österreich-Zentrale von Franck. Schon vor Franck war hier die Feigenkaffeefabrik des Adolf Titze eröffnet worden. Das war Konkurrenz und Ergänzung in einem. Feigenkaffee war die etwas noblere und teurere Art, Bohnenkaffee zu substituieren. Der aus Böhmen gebürtige und in der Linzer Landstraße ansässige Weinhändler und Kaufmann Adolf J. Titze hatte 1868 in Rottenegg/ St. Gotthard im Mühlviertel eine 1866 gegründete Feigenkaffeefabrik erworben.[11] [Das Werksgelände befand sich eigentlich im Gemeindegebiet Rotteneg, und nicht St. Gotthard. Frdl. Hinweis von Johann Pammer. ] Die Werksanlagen verblieben vorerst in Rottenegg. Auch Titze expandierte. 1894 entschloss sich Adolf Titzes Sohn Julius zur Verlegung der Rottenegger Produktionsanlagen nach Linz und zu einem Neubau am damals östlichen Stadtrand von Linz in der Kaplanhofstraße nahe dem städtischen Gaswerk. Es gab massive Anrainerbeschwerden, die auf die bereits bekannten Geruchsprobleme im Franckviertel verwiesen, das „bereits als minderwertig in Verruf geraten wäre“, obwohl das ebenfalls in der Kaplanhofstraße angesiedelte Gaswerk, wo aus Steinkohle Stadtgas gewonnen wurde, wohl ähnliche, mit Sicherheit unangenehmere Umweltprobleme verursachte.[12] [Bauansuchen 1894, zit. n. Lackner/Stadler, Fabriken, 335. ]
Durch die Dynamik von Julius Titze konnte die Beschäftigtenzahl von zehn Mitarbeitern im Jahr 1890 auf 70 im Jahr 1907 ausweitet werden. Doch seine erfolgreiche Aufbauarbeit wurde durch seinen frühen Tod jäh unterbrochen. Er starb im Jahr 1910. Bis 1917 scheinen Albert Hüper und Mathias Janot als Geschäftsführer auf. Doch der wahre Eigentümer der nunmehrigen Adolf J. Titze Gesellschaft m.b.H. war bereits 1910 Carl Franck geworden. Mit Kaufvertrag vom 11. April 1917 wurde das Unternehmen von Albert Hüper und der Firma Emil Seelig GmbH übernommen. Geschäftsführer und Eigentümer der Emil Seelig GmbH, die später in „Fundus“ umbenannt wurde, war Walter Franck. Der Kaufpreis betrug 600.000 Kronen. Dabei wurden die Anlagen mit 100.000 Kronen, die Vorräte mit 425.000 Kronen und die Markenrechte mit 75.000 Kronen bewertet.[13] [OÖLA, LG, Handelsregister, Schuber 1126, 43 ]
Bei Titze einzusteigen war zu diesem Zeitpunkt sicherlich eine kluge Entscheidung, auch wenn wegen der durch den Krieg zusammengebrochenen Feigenversorgung vorerst kein Feigenkaffee mehr produziert werden konnte. Man musste sich um Ersatz für den Ersatz umsehen und verdiente noch viel besser, so dass das von Franck im neuen Unternehmen verdiente Geld gut angelegt war und auch nicht der Hyperinflation zum Opfer fiel.
Im Jahr 1918 war mit 250 Beschäftigten bei Titze der Höchststand erreicht. Anlässlich der baulichen Erweiterung der Firma Titze hieß es 1918: „Kaffeezusätze, hauptsächlich aber Kaffee-Ersätze werden nicht nur zur Herstellung des Frühstücks- und Abendgetränks von den breiten Schichten der Bevölkerung verwendet, sie bilden für die arbeitenden Klassen einen großen Teil der täglichen Nahrung, infolge Verteuerung aller anderen Lebensmittel.“[14] [Bauansuchen Sept. 1918, zit. n. Lackner/Stadler, Fabriken, 334. ]
Mit 17. Jänner 1925 wurde die offene Handelsgesellschaft Adolf J. Titze (bisherige Gesellschafter Hüper, Fundus, Lentia und Walter Franck) in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der alte Firmenname wurde weiter beibehalten. Den Vorstand der neuen Adolf J. Titze AG teilte sich Albert Hüper, der ab 1904 technischer Direktor von Titze gewesen war, mit Oskar Haempel, dem Schwager von Walter Franck. Im Verwaltungsrat saßen Lothar Kuhlmann, ein Schwiegersohn von Carl Franck, und andere Familienmitglieder und Vertrauensleute der Familie Franck. Das Kapital wurde in der Golderöffnungsbilanz 1925 mit 1,5 Mio. Schilling ausgewiesen. Titze zählte zu diesem Zeitpunkt etwa 200 Beschäftigte.
Die Zwei-Marken-Strategie bewährte sich gut. Titze stand für das gehobenere Segment des Feigenkaffees, Franck für das billigere Zichorienprodukt. Titze konnte sich mit seinen eingeführten Marken (Titze-Gold) und einer exzellenten Werbung gut behaupten. Die Kapazität konnte in den 1920er Jahren auf 6.000 t Feigenkaffee im Jahr ausgeweitet werden. 1929 zählte man 140 Beschäftigte, auch 1930 und 1931 immer noch etwa 120. In den folgenden Jahren der Weltwirtschaftskrise sank der Konsum von Feigenkaffee um fast 50 Prozent, der von Zichorienkaffee nur um ein Drittel. Der Rückgang spiegelte sich aliquot in den Beschäftigtenzahlen. Die Beschäftigtenzahl bei Titze musste halbiert werden. Erst knapp vor dem Anschluss stabilisierte sich die Situation, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Im Jahr 1937 beschäftigte Titze 87 Personen, Franck 215.
Die Firma Titze erreichte einen großen Bekanntheitsgrad, obwohl sie deutlich kleiner als der Linzer Franck-Standort, geschweige denn der ganze Konzern war. Überaus populär wurde die Werbefigur der Titze-Tante. Sie ist nicht nur durch den Kalauer aus den 50er Jahren in Erinnerung geblieben:
„Titze Tante, Titze Onkel, sie trinkt hell, er gern donkel.“ Sie ist auch zu literarischen Ehren gekommen. Die humorvolle Inkarnation einer „Kaffee-Tante“, die für das Kaffee-Ersatzmittel „Titze-Kaffee“ warb, erscheint im Stück „Weltuntergang“ von Jura Soyfer der dortigen Hauptfigur Prof. Guck im Traum und singt das „Chanson der Titze-Tante“ als Abgesang auf die Bitternis der Wirtschaftskrise und deren Nichtbewältigung durch die Politik.[15] [Jura Soyfer, Das Gesamtwerk, hg. v. Horst Jarka, 1980, 554. ]
„A bisserl bitter / Und a bisserl Zucker,
Dann schluckt das Bittere / Der ärmste Schlucker.
A Tröpferl Dummheit / Und a Schipperl Lug,
A Körndl Wahrheit is / Da mehr als g'nug.
A bisserl echt und recht viel Ersatz,
Ja, das Rezept is a wahrer Schatz,
Es bleibt in den Köpfen, ob d'Welt auch verweserlt:
Es wird nix verbröserlt.“
Das Titze-Firmengelände in der Kaplanhofstraße 6-18, von dem keine Überreste mehr erkennbar sind, umfasste ungefähr ¾ eines Blocks auf ca. 4.000 m2 Fläche, die von einem hohen Zaun umschlossen waren. Die Gebäude bedeckten etwa 1.500 m2 und bestanden aus einem vierstöckigen Bürogebäude, einem vierstöckigen Fabrikgebäude und drei kleinen Lagerhäusern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es etwa 150 Beschäftigte, monatlich wurden etwa 15 Wagenladungen Kaffeeersatz erzeugt, ca. 50 Prozent der Kapazität, in zwei Qualitäten, als Roggen- und als Feigenkaffee. Die Feigen wurden früher aus Kalifornien bezogen, später aus der Türkei. Seit 1943 gab es zwei Tochterfirmen, eine in Innsbruck und eine im bayerischen Freilassing, die aus der in diesem Jahr erfolgten Übernahme der „Andre-Hofer-Oberlindober AG“, einer 1872 gegründeten Feigenkaffee-Fabrik in Freilassing herrührten und zur „Titze-Andre Hofer AG“ fusioniert wurden. In Innsbruck handelte es sich um eine kleine Fabrik mit nur 5 bis 6 Personen, die zwei Wagenladungen monatlich produzierten.
Die Feigenkaffee-Fabrikation bei Titze, die im Schnitt 100 bis 200 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigte, wurde schon in den 1950er Jahren aufgegeben.[16] [Lackner/Stadler, Fabriken, 334 f. ] Der Baubestand in der Kaplanhofstraße/Gruberstraße mit zweigeschoßigem Wohnhaus und angebautem ebenerdigem Werkstättentrakt und dem 1912 errichteten fünfgeschoßigen Lagerhaus wurde 1963/66 abgetragen. 1971 wurde das nur mehr auf dem Papier bestehende Unternehmen aufgrund des Verschmelzungsbeschlusses mit Franck & Kathreiner vom 21. 6. 1971 gelöscht.
[11] Das Werksgelände befand sich eigentlich im Gemeindegebiet Rotteneg, und nicht St. Gotthard. Frdl. Hinweis von Johann Pammer.
[12]Bauansuchen 1894, zit. n. Lackner/Stadler, Fabriken, 335.
[13] OÖLA, LG, Handelsregister, Schuber 1126, 43
[14] Bauansuchen Sept. 1918, zit. n. Lackner/Stadler, Fabriken, 334.
[15] Jura Soyfer, Das Gesamtwerk, hg. v. Horst Jarka, 1980, 554.
[16] Lackner/Stadler, Fabriken, 334 f.